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Das Familienunternehmen Weidmann hat einen Produktionsstandort rund 100 Kilometer nordwestlich von Kiew.
Thomas SchlittlerSonntagsansicht der Wirtschaftsredaktion
Es klingt wie ein kleines Weihnachtswunder: Nestlé baut in der Westukraine eine Nudelfabrik. “Das neue Werk in der Region Volyn wird zusammen mit der bestehenden Fabrik in Torchyn Nestlés regionales Zentrum für Lebensmittel und kulinarische Produkte in Europa”, kündigte der Lebensmittelkonzern diese Woche an. Mit rund 1.500 Mitarbeitern wird es sowohl die Ukraine als auch andere europäische Märkte beliefern. Die Investitionen beliefen sich auf 40 Millionen Franken.
Endlich mal wieder positive Nachrichten aus dem kriegszerrütteten Land. Leider täuscht die Ankündigung darüber hinweg, dass die ukrainische Wirtschaft vor allem im Osten des Landes immer noch stark unter den Folgen des russischen Angriffs leidet.
“Die Situation ist schwierig”
«Die Situation ist nach wie vor sehr schwierig», sagt Franziska Tschudi Sauber (62), CEO der Weidmann-Gruppe mit Sitz in Rapperswil SG. Das Familienunternehmen hat einen Standort in Malyn, rund 100 Kilometer nordwestlich von Kiew. Dort produziert Weidmann Materialien und Komponenten für die Transformatorenisolierung. „Leider wurde der Ort nicht vor dem Krieg gerettet“, sagt Tschudi Sauber. Eine Brücke und ein Kindergarten wurden zerstört. “Die Ukrainer tun jedoch ihr Bestes, um die Infrastruktur so schnell wie möglich zu reparieren.”
Ab Mai konnte Weidmann die Produktion wieder aufnehmen. Allerdings sank die Zahl der Mitarbeiter von 630 auf rund 550. „Das liegt vor allem daran, dass Männer eingestellt wurden“, sagt der Unternehmer. Es wird jedoch alles getan, um die Arbeitsplätze der ukrainischen Kollegen zu sichern. Aus wirtschaftlicher Sicht sei das allerdings nicht so einfach: „Das Problem ist, dass einige Großkunden aus Westeuropa keine Produkte aus der Ukraine wollen. Sie befürchten, dass wir je nach Kriegsverlauf unsere Produktion einstellen müssen und dann nicht mehr liefern können.“
besorgt über Ungewissheit
Aus Sicht der Kunden, die absolute Planungssicherheit verlangen, kann Tschudi Sauber die Zurückhaltung nachvollziehen. Gleichzeitig vermisse er bei vielen die Solidarität mit der Ukraine. “Ich kann daher nicht sagen, ob wir in einem Jahr noch genug Arbeit für alle unsere ukrainischen Mitarbeiter haben werden.”
Auch bei anderen Schweizer Unternehmen, die in der Ukraine tätig sind, herrscht grosse Verunsicherung. Der Pharmariese Novartis, der in dem umstrittenen Land rund 500 Mitarbeiter beschäftigt, hat damit begonnen, den Geschäftsbetrieb aus der Ferne wieder aufzunehmen. Häufige Unterbrechungen der Energieversorgung sind jedoch eine ernsthafte Herausforderung.
Der Agrochemiekonzern Syngenta hingegen, der vor Kriegsbeginn rund 600 Mitarbeiter in der Ukraine beschäftigte, kann nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob alle noch vor Ort sind. „Unsere Informationen sind nicht ganz aktuell, weil die Menschen in den vergangenen Tagen unter schwerem Beschuss standen und ohne Strom- oder Mobilfunkanschluss in Notunterkünften untergebracht waren“, sagte ein Sprecher. Russische Truppen plünderten und zerstörten auch ein Labor in der Hafenstadt Cherson. „Wir wollen aber so gut wie möglich in der Ukraine bleiben“, betont Syngenta.
Vetropack will den ukrainischen Standort nicht aufgeben
Auch der Hersteller von Glasbehältern Vetropack bestätigt, den Standort in der Ukraine nicht aufgeben zu wollen. Allerdings musste das in Bülach ZH ansässige Unternehmen in den letzten Monaten Hunderte von ukrainischen Arbeitern entlassen. „In unserem Werk Hostomel haben Untersuchungen vor Ort ergeben, dass eine vollständige Wiederaufnahme der Produktion nicht möglich ist“, sagte eine Sprecherin.
Noch düsterer ist die Lage bei Clariant. Bereits im Februar 2022 hatte der Basler Chemiekonzern seine Katalysatorenproduktion in der hart umkämpften Donbass-Region eingestellt. Nun musste das Unternehmen entscheiden, den Standort endgültig zu schliessen. „Die Arbeitsverträge der betroffenen Mitarbeiter in der Ukraine enden daher zum Jahresende“, sagte eine Unternehmenssprecherin.
Andere Schweizer Unternehmen mit grösseren Niederlassungen in der Ukraine wollen sich zur aktuellen Situation nicht einmal äussern.
Beim Nidwaldner Sanitärtechnikkonzern Geberit und Glas Trösch heisst es nur: Keine Kommentare.