
Milliardenschweres Ampel-Hilfspaket hinterlässt Ämter „in Trümmern“


Zahl der wohngeldberechtigten Haushalte steigt von rund 600.000 zu Jahresbeginn auf 2 Millionen
Quelle: PA/DPA/Robert Michael
Mit Sorge blickt die Verwaltung auf den Jahresanfang. Auf die anstehende Entlastung der Bürger sind sie nicht vorbereitet. Deutschland wird sich auf verspätete und fehlerhafte Zahlungen einstellen müssen. Nun ist auch von „Kollaps“ die Rede.
ichEnergiepreis-Flatrates, Gaspreis-Pauschen, Wohngelderhöhungen – der Gesetzgeber hat die meisten der im Sommer angekündigten Entlastungen inzwischen verabschiedet. Allerdings ist in vielen Fällen unklar, wann das Geld tatsächlich bei Bürgern und Unternehmen ankommt, um die hohen Energiepreise zu senken.
Experten sehen den Verwaltungsaufwand. „Am Ende werden alle auf ihre Kosten kommen, aber es wird dauern und es wird Fehler geben“, sagte Lutz Goebel, Leiter des Regulierungskontrollrates von WELT AM SONNTAG. Er ist ein unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung für Bürokratieabbau und Gesetzgebung. Nun rächt es sich, dass die Digitalisierung der Verwaltung „einfach vermasselt“ habe, sagte er.
Einen weiteren Grund für die erwarteten Probleme sieht Goebel in der Ankunft des Hilfspakets. „Wenn am Anfang mehr Zeit für das Gesetz gelassen worden wäre, hätte es am Ende weniger Frust bei allen Beteiligten gegeben“, sagte er.
Die Regierung gibt all jenen, die die Projekte vor Ort umsetzen müssen, oft nur wenige Stunden, um die Gesetzesentwürfe zu kommentieren. “Das geht definitiv zu Lasten der Qualität.”
Jens Spahn, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion, fordert von der Regierung eine Lockerung der angesetzten Maßnahmen. “Die Ampel sollte alle ihre Projekte sofort einer bürokratischen Prüfung unterziehen.” Der administrative Aufwand für die Projekte ist enorm.
„Wenn Ämter, Kommunen und Versorger mit komplexen Regelungen belastet werden, kommen finanzielle Entlastungen für Bürger und Unternehmen zu spät oder gar nicht“, sagte Spahn. Die eigentlich von der Regierung gesetzten Stressbremsen hat sie offenbar schon wieder vergessen.
Die Wohngeldreform greift
Auslöser für den Ärger der Kommunen war vor allem die Wohngeldreform, die Ende des Jahres rund 600.000 bis 2 Millionen Haushalte zur Antragstellung berechtigte. „Wenn das umgesetzt wird, besteht die Gefahr, dass das Wohngeldsystem bis weit ins kommende Jahr einbricht“, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.
Bis Januar konnten die Wohngeldstellen nicht ausreichend mit qualifiziertem Fachpersonal ausgestattet werden. „Wir gehen davon aus, dass es zu einer Verzögerung bei der Abwicklung des Wohngeldes und damit zu einem Zahlungsaufschub bis Mitte 2023 kommen wird“, sagte Landsberg.
Einzelne Kommunen rechnen derzeit mit zweieinhalb bis fünfmal mehr Anträgen als bisher. Das ergab eine Umfrage der WELT AM SONNTAG unter den zehn größten deutschen Städten. Um den Ansturm bewältigen zu können, stocken sie bereits ihr Personal auf.
Gleichzeitig kritisieren Städte die Komplexität des Wohngeldsystems. Die Bundesregierung muss daher für eine beschleunigte „Entbürokratisierung der Verfahren“ sorgen, wie sie etwa das Sozialreferat in München fordert.
„Bürger müssen im kommenden Jahr lange warten“
Kritik an der Ausgestaltung der Hilfspakete der Bundesregierung kommt auch aus der Deutschen Steuerunion. „Die Hilfsmaßnahmen sind völlig unkoordiniert“, sagte Bundespräsident Florian Kobler. Früher galt der Energiepreis nur für Arbeitnehmer pauschal, dann aber auch für Rentner und Rentenbezieher, jetzt kommt die Besteuerung der Gaspreisobergrenze hinzu.
„Das ist ein Schlamassel, der eine Finanzverwaltung trifft, die ohnehin schon am Limit ist“, sagte Kobler. Viele Steuerzahler werden die Folgen von Überstunden im Jahr 2023 bemerken. “Bürger müssen im kommenden Jahr länger auf Steuerrückerstattungsansprüche warten”, sagte Kobler.
Die Servicestellen und Telefon-Hotlines der Behörden werden bereits mit Anfragen überschwemmt, zum Beispiel von Rentnern, die wissen wollen, ob sie wegen der gezahlten 300-Euro-Energiewertpauschale im nächsten Jahr eine Steuererklärung abgeben müssen 15. Dezember.
Auch in den Unternehmen gibt es Zweifel, ob das Geld rechtzeitig kommt oder nicht. So werden beispielsweise Anträge von Energieversorgern auf Entschädigung für die Dezember-Kürzung für Gaskunden zunächst von drei Stellen geprüft, bevor die Auszahlung erfolgt.
„Der Zeitplan ist extrem eng, es gibt keinen Zeitpuffer“, sagt Kerstin Andree, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Erhalten Energieversorger die Kürzung im Dezember nicht rechtzeitig vom Staat erstattet, ist ihre Liquidität gefährdet.