
Die Deutschen zahlen 20 Milliarden Euro zu viel Einkommensteuer
„Die Schuldenuhr tickt schneller denn je“
„Wir nehmen jeden Tag mehr als 971 Millionen neue Schulden auf, um diese Krise zu schultern“, sagt Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler. “Dieses Geld hat einen Tribut, dh Zinsen und Tilgung.“ Zusätzliche Mittel müssen auch Steuern beinhalten.
Trotz Rezessionsängsten dürften die Steuereinnahmen weiter steigen. Laut einem Berichtsentwurf, der WELT vorliegt, werden die Steuerzahler in diesem Jahr viel mehr zahlen als bisher angenommen – hier ist der Grund.
michIn den kommenden Tagen wird es in der Politik – noch mehr als sonst – um Geld gehen, um viel Geld. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie viele Steuern der Staat in diesen Zeiten braucht und wie viel Neuverschuldung er sich leisten kann.
Am Donnerstagnachmittag stellt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die aktuelle Prognose des Arbeitskreises Steuergestaltung vor. Das Expertengremium, dem Steuerexperten der wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstitute und der Bundesbank angehören, dürfte trotz des erwarteten Rückgangs seine Prognose ab Frühjahr wieder anheben. Bund, Länder und Kommunen können daher mit höheren Einnahmen rechnen.
Hauptantriebskraft für höhere Steuereinnahmen ist einerseits eine stabile und niedrige Arbeitslosigkeit. Trotz Krise ist der Beschäftigungsgrad hoch, was dem Staat konstant hohe Einnahmen aus Lohn- und Einkommensteuer beschert.
Zweitens gibt es eine hohe Inflation. Je höher der Preis steigt, desto mehr Steuern erhebt der Staat. Die Umsatzsteuer hat in den vergangenen Monaten deutlich mehr Geld in die Staatskasse gespült als erwartet.
Außerdem profitiert der Staat von einer geheimen Steuererhöhung: dem sogenannten kalten Fortschritt. Kurz bevor die Ergebnisse des aktuellen Steuerplans vorliegen und der Verteilungskampf um die zusätzlichen Milliarden beginnt, hat Lindner den 5. Steuerfortschrittsbericht innerhalb der Bundesregierung zur Abstimmung gestellt, kommende Woche soll er im Kabinett beraten werden.
Laut dem WELT vorliegenden Berichtsentwurf zahlen die Steuerzahler in diesem Jahr 20,4 Milliarden Euro zu viel an Einkommensteuer, im nächsten Jahr sogar 21 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: „Im Jahr 2022 werden rund 35,5 Millionen Steuerzahler mit durchschnittlich etwa 659 Euro von kalten Trends auf individueller Ebene betroffen sein“, heißt es in dem Bericht. Das ist mehr als bisher erwartet.
Eine Mehrbelastung von fast 600 Euro pro Steuerzahler
Unter Berücksichtigung geringfügiger Anpassungen des Steuersatzes, wie der bereits erfolgten Anhebung der Grundsicherung, bleiben bis 2022 durchschnittlich 575 Euro pro Steuerzahler übrig. Im kommenden Jahr wird der durchschnittliche Fortschrittseffekt inklusive Beihilfeeffekt das feststeht, beträgt 592 Euro.
Kalter Fortschritt bedeutet eine heimliche Steuererhöhung durch Inflation: Der Arbeiter muss die gleichen Steuern zahlen wie zuvor, auch wenn er weniger Kaufkraft hat und sein Realeinkommen sinkt. Bei Lohnerhöhungen, die zumindest einen Teil der Inflation ausgleichen, fließt diese sogar in einen höheren Steuersatz.
Geht es nach Lindner, wird die Kälte im kommenden Jahr komplett kompensiert. Er kann auf seine Vorgänger verweisen. Seit 2013 passt die Politik den Inflationseffekt regelmäßig mit einem Jahr Verzögerung an.
Das hat immer gut funktioniert, wie die Bundesbank in einem Bericht im Juni sagte. „Die Kaltfront war jedes Jahr nicht immer genau ausgeglichen, aber insgesamt war sie ungefähr ausgeglichen“, hieß es.
Nun ist die Ampelallianz an der Reihe, das Inflationsausgleichsgesetz zu aktualisieren. Um die Lücke zu verringern, wird in der Regel der Grundfreibetrag erhöht und weitere Eckwerte des Einkommensteuertarifs angepasst.
Lindner hat bereits angekündigt, dass der steuerfreie Freibetrag im Jahr 2023 auf 10.908 Euro steigen soll – bisher ist nur eine Erhöhung von 10.347 Euro auf 10.632 Euro geplant. Wo die anderen Kennzahlen liegen könnten, verrät der Fortschrittsbericht nicht.
Der höchste Steuersatz soll erst ab 63.284 Euro gelten
Beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat man allerdings schon gerechnet. Demnach ist der sogenannte Spitzensteuersatz, d.h. Die 42 Prozent sollen erstmals bei einem zu versteuernden Einkommen von 63.284 Euro greifen, um den Kältekorridor im kommenden Jahr vollständig auszugleichen. Bisher sind es 58.597 Euro, im neuen Inflationsausgleichsgesetz liegt der Wert noch bei 61.972 Euro.
Das Ergebnis: Bei einer vollständigen Verbesserung der Kaltpassage müsste ein Arbeitnehmer bei einem knapp 4.700 Euro höheren Einkommen nur noch den ersten Euro in Höhe von 42 Prozent versteuern.
Eine vollständige Entschädigung für Kaltvorschüsse ist innerhalb der Bundesregierung umstritten. SPD und Grüne weisen darauf hin, dass dadurch höhere Einkommen stärker entlastet werden als niedrige – es sei nicht nötig. Das Geld könnte besser für weitere direkte Anreize für kleine und mittlere Einkommen im Kampf gegen die steigenden Lebenshaltungskosten verwendet werden.
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